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Foto: Cora K. Hiebinger

Vor 3 Wochen hat die Regierung der Nation einen Shut-down verordnet, der uns Schritt für Schritt in eine neue Normalität geführt hat: Corona-Hotlines, Mundschutzmasken, Ausgangsbeschränkungen. Wie so oft in Krisenzeiten werden wir tagtäglich mit Daten, Fakten, Meinungen, und auch Verschwörungstheorien bombardiert. Die Tatsache, dass SARS CoV-2 ein neues Virus ist, und daher ganz einfach noch sehr wenig darüber bekannt ist; dass die Fallzahlen möglicherweise um eine Vielfaches höher sind als die Anzahl offiziell positiv Getesteter; dass es offensichtlich mehrere Kriterien gibt, die darüber entscheiden, ob jemand mit schwerem Verlauf letztendlich überlebt oder nicht; es gibt Vieles, was wir noch nicht wissen (können).

Schrödinger’s Katze

Auch darüber, ob die Strategie, die Österreich verfolgt die richtige ist (was derzeit durch die Verlangsamung der Neuinfektionen und die vergleichsweise niedrige Todesrate unterstützt wird), oder doch falsch, weil wir die Mortalitätssteigerung nur in die Zukunft verschieben (weil in einer durch den Shut-down heraufbeschworenen Wirtschaftskrise auch das Gesundheitssystem Schaden nehmen und es dann überhaupt den Menschen schlechter gehen wird) – wir wissen es (noch) nicht. Und vielleicht kann man auch nicht von „richtig“ und „falsch“ sprechen, weil die Problematik so komplex ist, dass es ganz sicher kein klares Schwarz-Weiß-Thema ist. Und weil wir, wie immer bei Entscheidungen, im Befolgen der Entscheidung bereits die Richtung der weiteren Entwicklung vorgeben; Schrödinger’s Katze ist immer mit dabei.

Nicht-Wissen macht uns Angst

Ich denke, dieses Nicht-Wissen ist immer schon eine der größten Herausforderungen für uns Menschen. Das erklärt auch die zahlreichen Bemühungen Vieler, sich und andere davon zu überzeugen, dass „ihre“ ExpertInnen die Wahrheit sprechen und die der „anderen“ Seite völlig falsch liegen. Oder Leute werden gleich selbst zu ExpertInnen und stellen ihre Meinung als unumstößliche Fakten dar.

Die neuen Experten und Expertinnen

Aber auch in kleinerem Umfeld wissen plötzlich ganz viele, wie speziell Du etwas besser machen könntest. Da weiß auf einmal ein EPU, dass alle EPU’s, die „ordentlich“ arbeiten, auf jeden Fall für mindestens 6 Monate Rücklagen haben müssten und daher gar nicht beim Härtefallfonds ansuchen bräuchten. Und Menschen, die schon lange keine oder noch nie Kleinkinder und Teenager betreut haben, während sie gleichzeitig im Home-Office produktiv sein sollen, inklusive Home-Schooling und Home-Making, schlagen vor, dass die alleinerziehende Mutter doch froh sein soll, endlich wieder richtiges „bonding“ mit ihren Liebsten machen zu können. Und im „fragnebenan“-Nachbarschaftsforum wird der Vorschlag eines Nachbarn, eine Petition zur Öffnung der Bundesgärten zu unterzeichnen z.Tl. mit wüsten Beschimpfungen quittiert und der Frage, ob er denn die Älteren der Gesellschaft umbringen möchte.

Ich bin mir sicher, dass Ihr alle ähnliche Beispiele aufzählen könnt. Und ja, eh klar, die Nerven liegen blank, die Ungewissheit wabert um uns alle herum, und das grenzüberschreitend, global, international.

Das Problem mit dem Wissen-Müssen

Das Problem mit Wissen-Müssen ist, dass wir nie alles wissen können. Da muss es gar keine Pandemie mit einem neuen Virus geben. Egal, wie gut wir auf etwas vorbereitet sind – ein wichtiges Meeting, ein großes Fest, eine Weltreise  – immer bleibt ein Teil unkontrollierbar. Dieser Teil kann das Wetter betreffen, oder einen plötzlichen Stromausfall, oder die Stimmung der anwesenden Personen, oder ein simples Missverständnis. Wir können nun versuchen, diesen unkontrollierbaren Teil so winzig wie möglich zu halten, alle Eventualitäten mit einem Plan B, C, D,  … abzudecken und uns mehr und mehr anstrengen, um uns glauben zu machen, dass wir das, was nicht in unserer Hand ist, doch irgendwie kontrollieren. Und uns, abgesehen von der immensen Zusatzanstrengung, die Möglichkeit für Überraschungen, Spontanität, und Improvisation nehmen. Oder wir stimmen zu, dass es diesen unkontrollierbaren Bereich unseres Lebens gibt – und geben darf – und geben ihm und uns Raum dafür.

Raum haben, Raum geben

Immer, wenn wir uns der Realität widersetzen – also uns z.B. mit Anstrengung gegen die unkontrollierbaren Anteile des Lebens wehren und sie mit Gewalt kontrollierbar machen wollen – schränken wir uns und unser Sein (das was wir sind mit allen unseren Qualitäten) ein. Wir machen uns kleiner, enger, atmen weniger, verspannen uns, und hindern uns selbst daran, klar zu denken und den Status-Quo und Möglichkeiten, die uns (noch oder stattdessen) offen stehen zu sehen. Gleichzeitig verschwenden wir durch die Anstrengung und das „uns enger, kleiner, verspannter machen“ unsere Energie und sind nur noch mit dem kontrollieren-wollen beschäftigt, werden also durchwegs eindimensional in unserer Wahrnehmung. Wir kreieren einen Zustand, der uns immer wieder automatisch ereilt, sobald der Trigger des Nicht-Wissens auftaucht.

Was wir stattdessen tun können

Erstens: bemerken, dass wir einen Zustand kreieren. Selbst wenn du wenig Übung darin hast, deinen Körper im Detail zu spüren – du kannst auch von der Maschek-Seite kommen: wenn du bemerkst,

  • dass du kaum mehr atmest,
  • dass dein Denken eher eindimensional ist und sich in ewig gleicher Abfolge wiederholt,
  • dass du dich klein, verzagt, als Opfer fühlst,
  • dass du bereits im Vorfeld genau weißt, wie dein Gegenüber reagieren wird und wie die Situation ablaufen wird (nämlich so wie „immer“),
  • oder du plötzlich ExpertIn bist für die Lebenssituation einer anderen Person, und genau weisst, was alle anderen besser machen sollten;

dann steht die Möglichkeit im Raum, dass du gerade im „Wissen-Müssen“ Zustand bist.

Zweitens: entscheiden, dass du Deinen Zustand bereit bist aufzugeben, auch auf die Gefahr hin, dass du dir dann nicht mehr so sicher bist, was jetzt genau richtig und falsch, was schwarz und was weiß ist. D.h. auch, dass du bereit bist, deine Angst über die Ungewissheit, das Nicht-Wissen zu erlauben, in einen Graubereich einzutauchen.

Drittens: den Zustand verlassen, loslassen. Der erste Schritt dazu ist immer, immer, immer, wieder bewusst und ruhig zu atmen. Und dir wieder Raum zu geben.

Viertens: du atmest ruhig weiter, gibst dein Gewicht ab an die Schwerkraft, du spürst deinen Körper, du lässt immer wieder Anstrengung los – v.a. auch im Bereich der Augen und im Bauch. Möglicherweise wirst du ein Strömen oder Fließen bemerken, oder sogar ein Zittern der Augen oder der Oberlippe, des Kinns. Erinnere dich immer wieder daran, dass du nichts erzwingen oder erreichen möchtest, sondern dass du deinem Körper erlaubst, sich wieder zu entspannen und in der Realität zu sein, so wie die jetzt ist.

Zur Unterstützung kannst du dich vor dem Loslassen kurz bewusst noch ein bisschen enger und kleiner, verspannter machen – und dann diese Anstrengung loslassen. Um mehr Gespür für die Enge zu erhalten kannst du z.B. mit den Fingerkuppen und gebeugten Fingern sanft den oberen Brustkorb abklopfen, und dann (natürlich nur, wenn du frisch gewaschene Hände hast!!! 🙂 ) das Gesicht und den Schädel.

Dann mit gebeugten Fingern intensiv die Kopfhaut bearbeiten – wie wenn du dir selbst eine kräftige Kopfmassage verabreichst. Dann lege die Hände sanft flach auf den Schädel, spür den Schädel und bewege die Hände dann ganz langsam weg von den Knochen. Stell dir vor, die Schädelknochen können sich mit der Bewegung der Hände langsam ausdehnen, und du erlangst wieder mehr Raum (du kannst das natürlich auch auf den Brustkorb anwenden). Der Clou ist immer, alles ein „erlauben“ sein zu lassen, d.h. du erlaubst, dass sich dein Körper wieder ausdehnt, Raum einnimmt. Du bemühst dich nicht darum, oder strengst dich an, etwas zu erreichen.

Achte immer wieder darauf, die Augen zu entspannen, das Kiefer, die Zunge, den Nacken – lass das Kinn immer wieder fallen, statt es hoch zu ziehen. Und: zu Beginn mach das alles entweder im Sitzen oder im Liegen.

Als Übung für mehr Raum im Brustkorb kannst du auch folgendes ausprobieren:

Rippen-Weiten:

Beginne auf der rechten Seite. Platziere die rechte Hand hinten auf den unteren Rippen, die linke Hand vorne auf den oberen rechten Rippen. Nun atme so, dass du eine Ausdehnungsbewegung gegen die Hände spürst, auf einer Diagonalen die von schräg oben vorne nach schräg unten hinten verläuft. Es geht nicht darum, eine möglichst große Bewegung zu erzielen, sondern eine möglichst gleichgroße nach vorne oben und hinten unten. Wiederhole das für einige Male, dann die Hände sinken lassen, weiteratmen, so wie dein Körper es jetzt mag. Vergleiche die beübte mit der unbeübten Seite. Dann mach das gleiche auf der anderen Seite.

Wenn deine Wahrnehmung schon geschärft ist, kannst du es auch ohne die Hand aufzulegen machen.

Die Zeit danach

Wenn du deine automatische Reaktion auf „Nicht-Wissen“ jetzt auf ganz alltägliche Situationen (die auch in Nicht-Krisen-Zeiten stattfinden, aber vielleicht jetzt gerade vermehrt) überträgst, so kann dieser Ansatz des „Raum-Habens“ und „Raum-Gebens“ auch für jedes Gespräch hilfreich sein – egal ob es um eine Lösungssuche, einen Konflikt, eine Diskussion geht. Denn die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass – wenn du ohne vorgefasste Meinung – ohne Zustand – ohne „Wissen“ in ein Gespräch gehst, dann reagiert auch dein Gegenüber möglicherweise nicht auf dein „das Gegenüber überzeugen müssen“, „alles besser wissen“, „die „richtige“ ExpertIn sein“ und macht daher auch weniger oder gar keinen Widerstand. Und plötzlich gibt es Raum für das Wissen, dass alle Beteiligten an den Tisch bringen, und plötzlich kann eine Idee eine andere anstoßen, und plötzlich kann etwas Neues, noch-nie-dagewesenes entstehen – weil das Neue plötzlich Raum hat. Oder ein möglicher Konflikt wird gar keiner, weil es mehr Raum gibt für unterschiedliche Sichtweisen, und es nicht mehr unumgänglich ist, dass sie in der Enge aufeinanderprallen. Das schont unsere Beziehungen und hält sie „sauber“.

Neues wird so oder so entstehen (müssen). Wieso dann nicht gleich das bestmögliche Neue entstehen lassen, weil wir alle „sind“ und unser Nicht-Wissen erlauben. Weil wir nicht gegen das Unkontrollierbare kämpfen, uns dagegen wehren, sondern wie auf einer Welle auf ihm surfen. Und uns Raum nehmen und unserem Gegenüber und dem Neuen Raum geben.

Bleib gesund, bleib kraftvoll. Wenn Du Unterstützung möchtest – Online-Sitzungen funktionieren gut.

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