Foto: Cora K. Hiebinger
Kürzlich hat in einer FB-Gruppe eine Frau um Erfahrungsberichte zu Knie-OPs gebeten. Obwohl der bevorstehende Eingriff eine Routine-Operation sei, habe sie doch großen Bammel davor. Wie in dieser Gruppe üblich, wurde ihre Anfrage mit zahlreichen Kommentaren bedacht.
In fast allen Posts wurde entweder von bereits gut überstandenen Operationen, erfreulichen Resultaten und großartigen ChirurgInnen und PflegerInnen-Teams berichtet, oder Tipps gegeben, wie man sich am besten beruhigen und die Angst dämpfen könne.
Das eigentliche Problem mit der Angst beginnt hier – wir wollen die Angst nicht, sie soll aufhören, weggehen. Und wir lassen uns so einiges einfallen, um dieses Ziel – angstfrei zu sein, uns nicht mehr zu fürchten – zu erreichen.
In einem Artikel über die Angst im Spiegel (41/2010) schreibt Samiha Shafy:
„Menschen, die keine Angst empfänden, sagt Borwin Bandelow, Psychiater in Göttingen und einer der bekanntesten Angstforscher Deutschlands, seien in aller Regel psychisch gestört. Der Biopsychologe Niels Birbaumer aus Tübingen, der die Gehirne angstfreier Psychopathen untersucht, ergänzt: „Menschen mit einem solchen Defekt bekommen meist schon in der Kindheit Schwierigkeiten im zwischenmenschlichen Bereich. Später werden sie oft kriminell.“
Wenn wir also an eine bevorstehende OP denken, ist es doch ziemlich normal Angst zu haben. Sobald ein Skalpell im Spiel ist, dass man noch dazu nicht selbst in der Hand hat, wird unser Körper auf „high alert“ schalten und sich für Flucht oder Kampf bereitmachen – also Angst haben. Die große Kunst besteht nun darin, sich der „Gefahr“ bewusst zu sein, die jedem chirurgischen Eingriff und jeder näheren Begegnung mit einem scharfen Gegenstand innewohnt (jetzt mal ganz abgesehen von multiresistenten Keimen, die man sich einfangen kann und allem, das während eines Krankenhausaufenthaltes oder überhaupt – während man sein Leben lebt – so passieren kann) und trotzdem nur so viel Angst zu haben, wie es der Situation entspricht. D.h. wenn ich mich in einem österreichischen Krankenhaus einer notwendigen, geplanten Operation unterziehe, muss ich mich weniger fürchten, als wenn derselbe Eingriff ein Notfall in einem Feldspital in einem Krisengebiet ist. In beiden Fällen sollte ich aber tunlichst meine Angst erlauben und spüren, statt meine Energie zu verschwenden mit Versuchen, mich zu beruhigen und sie zu unterdrücken, sie weghaben zu wollen. Denn Angst ist genau die Energie, die für unser Überleben sorgt und für unsere Gesunderhaltung bzw. Heilung unabdingbar ist. Wenn wir uns nämlich einfach nur beruhigen und so tun, als hätten wir keine Angst, uns einreden, auch keine haben zu müssen, bringt das oft mit sich, dass wir die Verantwortung für unser Wohlergehen völlig an jemand anderen abgeben. Eine manchmal verlockende Idee, aber nicht immer dazu angetan, dass es uns dann auch wirklich wohl ergeht. Selbst in einem österreichischen Spital ist es unter Umständen durchaus sinnvoll, eine Person deines Vertrauens mitzunehmen, wenn du stationär aufgenommen wirst. Und vielleicht bringt dich ja deine Angst dazu, eine zweite Meinung einzuholen, bevor du dich unters Messer legst. Also, nicht so ohne, diese Balance zwischen Angst ja, aber nicht zu viel, damit du dich ohnmächtig fühlst und nicht zu wenig, damit du nicht allem ohne Fragen zustimmst.
Wie also mit besorgniserregenden Situationen umgehen?
Wie immer, wenn es um Zustände (hier: „Angst vermeiden“) geht, kannst Du in mehreren Schritten damit umgehen lernen.
Zunächst ist es notwendig zu bemerken, wie Du der Angst begegnest, was du gegen sie machst, was du tust, um sie weniger zu spüren.
Beliebt ist: die Atmung zu reduzieren, einzuschränken; den Bauch festzumachen, einzuziehen oder rauszudrücken (in verschiedensten Variationen); die Schultern hoch-, vor-, oder zusammenzuziehen; das Becken und die Beine aus der Wahrnehmung zu nehmen, sozusagen „abzuschneiden“, etc.
Ohne „Untergestell“ sind wir natürlich automatisch schon weniger fähig, den uns ängstigenden Situationen zu begegnen und standzuhalten, und die Energie, die wir für diverse Anstrengungen aufwenden, fehlt uns dann als wichtige Ressource für die Situation, mit der es umzugehen gilt.
Oft ist auch eine Gedankenspirale im Spiel: dabei wechseln sich oft Horrorszenarien mit Beruhigungsversuchen ab.
In Sitzungen ist der nächste Schritt, deinen ganz persönlichen, „Gegen die Angst-Seins-Zustand“ sehr genau kennenzulernen und mehr und mehr Kontrolle darüber zu gewinnen. Dabei intensivierst du deinen Zustand oder Aspekte davon, lässt ihn wieder los, spielst sozusagen mit ihm.
Je mehr Kontrolle du über deinen Zustand gewinnst, desto deutlich und offensichtlicher wird auch, dass du selbst diesen Zustand erzeugst; du also auch die Freiheit hast, ihn nicht mehr zu erzeugen.
Wenn du noch keine Erfahrung mit Körperarbeit und Grinberg hast, kannst du zumindest zwei der Werkzeuge sofort umsetzen:
- Bemerken, wie du deiner Angst entgegenwirkst, wie du dich beruhigst, etc. (s. oben)
- Dich entscheiden, deiner Atmung mehr Raum zu geben:
d.h. du erlaubst dem Zwerchfell, dass es sich bei der Einatmung nach unten Richtung Becken bewegt, bei der Ausatmung mehr oder weniger passiv wieder nach oben rutscht. Dafür ist es hilfreich, dem Bauch und Brustkorb Flexibilität zu erlauben, damit diese Bewegung des Zwerchfells nicht behindert wird und die Lungen Platz haben sich anzufüllen und wieder zu entleeren –
Sobald du deinen Körper quasi atmen „lässt“, statt deine Atmung entweder einzuschränken oder mit Anstrengung durchzuführen, wirst du vermutlich bemerken, dass sich ein Teil der Anspannung/ein Teil deines Zustandes bereits durch das Delegieren der Atmung an den Körper gelöst hat. Du atmest weiter und spürst, was vom Zustand noch übrig ist. Du kannst dein Gewicht abgeben und deinem Körper erlauben sich der Schwerkraft hinzugeben. D.h. jeder Knochen liegt dort, wo er hinsinkt, wenn du dein Gewicht an die Unterlage abgibst.
Möglicherweise spürst du jetzt deine Aufregung/Angst als körperliche Empfindung (ein Kribbeln, Zittern, Pochen, Schwitzen,…..). Atme weiter und gib weiterhin dein Gewicht an die Unterlage ab. Gehe immer wieder mit deiner Aufmerksamkeit in den Körper, d.h. spüre, wie der Körper auf der Unterlage aufliegt. Wähle einen Körperbereich, den du gut spürst und bringe deine Aufmerksamkeit immer wieder dorthin zurück. Egal, was dein Verstand dir einreden möchte, welche Beruhigungsformeln oder Schreckensszenarien dir vorschweben, entscheide immer wieder aufs Neue, deinen Körper auf der Unterlage zu spüren und entspannt weiterzuatmen. Möglicherweise wirst du auch ein Gefühl der Klarheit wahrnehmen können. Denn das ist, was uns die Angst u.a. bringt: Klarheit, Lebendigkeit, Präsenz. Mehr zum Thema Angst findest du auch im Blog-Artikel „Schau ihr in die Augen, Liebes„.
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