Foto: Julia M. Rohn
Während der April-Blog von 2017 „Schmerz lass nach“ Gedanken zum Thema Trauer und Schmerz sammelte, geht es in diesem Blog des Herbstbeginns um körperlichen Schmerz. Auch wenn es für den Körper wohl wenig Unterschied macht, worauf der Schmerz beruht – auf einer verlorenen Liebe oder einem fehlbelastetem Knie – weh tun tut es allemal. So schreibt auch Harro Albrecht in seinem Buch Schmerz. Eine Befreiungsgeschichte:
„Der Schmerz ist die Grenzfläche, an der Psyche und Körper aufeinandertreffen. Er ist Trennungsschmerz, Wundschmerz und psychische Verletzung durch Zurückweisung. Er ist ein Phänomen, welches das ganze menschliche Leben umfasst.“
Schmerz ist ein Kommunikationsmittel des Körpers. Er ist ein Hinweis an uns – halt, hier stimmt etwas nicht. Achtung, hier ist Gefahr im Verzug. Wie sinnvoll und wichtig das ist, erschließt sich uns dann, wenn wir den Leidensweg von Menschen mit einer seltenen Krankheit (CIPA = hereditäre sensorische und autonome Neuropathie Typ IV) betrachten, die keinen Schmerz spüren können. Da sie keinen Schmerz spüren, lassen Kinder mit diesem genetischen Defekt bei ihren Unternehmungen nur wenig Vorsicht walten, was zu wiederholten, schweren Verletzungen führt. Bereits verletzt, schonen sie den betreffenden Körperteil auch nicht, weil es ja nicht wehtut. Langfristig werden so Knochen und Gelenke zerstört.
Auch wenn Dir jedoch theoretisch nachvollziehbar ist, warum Schmerz eine sinnvolle Einrichtung des Körpers ist, mag natürlich trotzdem niemand Schmerzen haben. So ist unsere übliche Reaktion darauf auch genau das: wir ignorieren ihn, wollen ihn loswerden, kämpfen dagegen an. Und selbst wenn eine Verletzung eigentlich schon wieder gut ist, verharren wir doch oft in einer Vermeidungshaltung und schränken unseren Bewegungsspielraum aus Angst vor neuerlichen Schmerzen ein. Sei es, dass wir den Arm nicht mehr über 90 Grad heben, oder dass wir Wanderungen oder sonstige Aktivitäten resigniert aus unserem Freizeitprogramm streichen.
Abgesehen davon, dass uns jede unserer automatischen Reaktionen auf Schmerz Energie kostet und zusätzliche Belastungen kreiert – wir müssen aktiv etwas tun, um z.B. eine schmerzhafte Zehe auszublenden, oder gegen den Status Quo einer wehen Schulter anzukämpfen, oder unsere schmerzende linke Hüfte nicht zu belasten – machen wir die Bemühungen unseres Körpers zunichte mit uns zu kommunizieren wenn wir den Schmerz nicht wahrhaben wollen, unserem Körper also kein Gehör schenken. Kein Wunder, dass er dann manchmal zu schreien beginnt – so ähnlich wie ein gestresster Elternteil, der seinen Teenager-Kindern gegenüber laut wird, weil sie ganz einfach nicht zuhören.
Selbstverständlich braucht ein frisch operiertes Knie Entlastung, und die Versteifung der Rückenmuskeln bei einem akuten Bandscheibenvorfall ist ein sinnvoller Schutzmechanismus des Körpers. Aber oft hinken Menschen noch 2 Jahre nach einem Unfall – einfach weil sie sich in der akuten Phase eines Schmerzes ein Kompensations-Bewegungsmuster angewöhnt haben, das längerfristig zu neuen Fehlbelastungen und damit Schmerzen in anderen Körperbereichen führen kann. Und statt Energie dafür aufzuwenden, sich gegen den Schmerz zu wehren, fährst du sehr viel besser damit, dem Körper die Aufmerksamkeit zu geben, die er mit dem Schmerz versucht von Dir einzufordern. Aufmerksamkeit ist Energie, und wenn etwas wieder gut werden soll, benötigt der Körper Energie.
Vor ein paar Jahren war Fabrizio Benedetti, ein renommierter Placebo-Forscher an der Abteilung für Neurowissenschaften der Universtiät Turin einer der RednerInnen beim jährlichen Spiraldynamik-Kongress in Zürich. Er berichtete von Studien, in denen PatientInnen Schmerzinfusionen bekamen, ohne zu wissen, wann genau das Schmerzmittel zugeführt wurde. Der Zeitpunkt der Schmerzmittelgabe korrelierte überhaupt nicht mit der von den PatientInnen gefühlten Erleichterung. Eine weitere Untersuchung testete die gefühlte Schmerzlinderung in PatientInnen, die eine „Ultraschallbehandlung“ erhielten. Von drei Gruppen bekam eine die Behandlung von einer TherapeutIn die nur das Notwendigste mit ihnen sprach, die zweite von einem, der nett war, und die dritte von einer, die überaus empathisch sehr gezielt auf die PatientIn einging. Das Ultraschallgerät war dabei gar nicht wirklich eingeschaltet. Nicht überraschend, berichteten die PatientInnen der dritten Gruppe von der größten Schmerzreduktion. Ich interpretiere diese Ergebnisse jetzt einmal frei dahingehend, dass der Körper Aufmerksamkeit und Entspannung möchte, und dass – wenn wir wagen uns die Option zuzugestehen, dass es auch wieder besser werden kann (und die Sätze, die unser Verstand möglicherweise wiederholt – Es wird immer so bleiben. Es wird nie wieder gut. – nicht glauben), genau das passiert – es wird besser.
In Sitzungen machen wir uns diese Effekte zunutze und nutzen dann die Werkzeuge der Grinberg-Methode, der Spiraldynamik und von Pilates.
Statt zu versuchen, den Schmerz so schnell wie möglich loszuwerden, schenken wir ihm und dem Körper Aufmerksamkeit. Oft reduziert alleine das wirkliche, ehrliche Hinspüren bereits einen Teil des Schmerzes. Weil wir aus dem Drama aussteigen, dass der Verstand möglicherweise abspult (Was ist wenn es wieder so schlimm wird wie gleich nach der OP? Ich werden nie wieder Sport machen können! Ich verliere meinen Job wenn ich das mit dem Rücken nicht hinkriege!) und einfach einmal der Realität ins Auge „spüren“. Und dabei atmen. Und uns entspannen. Und dann spüren wir möglicherweise, dass da ein Schmerz ist, unser Körper aber eigentlich recht gut damit umgehen kann und die Sache sehr pragmatisch sieht. Und dass ein Teil des Gefühls es nicht aushalten zu können Panik ist, und nicht Schmerz.
Weiters verwenden wir unsere Aufmerksamkeit, um herauszufinden welchen Zustand wir kreieren, wenn wir den Schmerz ignorieren oder loswerden wollen, oder wenn wir darauf warten, dass er wieder auftritt (und wie sehr wir dabei Energie verschwenden, die wir eigentlich dafür benötigen würden, dass es wieder gut wird). Möglicherweise hörst Du auf zu atmen, ziehst den Bauch ein, eine Schulter hoch, spannst die Beine an und machst dich „tapfer“, wappnest dich, inklusive „stiff upper lip“. Und schon ist der Schmerz da oder stärker als noch gerade eben. Viele KlientInnen waren schon sehr erstaunt, wie sehr sie ihren Schmerz selbst beeinflussen können, ihn stärker machen und ihn auch wieder reduzieren – und wie automatisch und ohne viel Nachzudenken oder Auszuprobieren sie das sofort hinbekommen – egal ob Kopf-, Regel- oder Rückenschmerz.
Dann übst Du das kreieren des Zustands und vor allem das Loslassen desselben immer wieder, sowohl in Sitzungen als auch zu Hause in Deinem Alltag. Du übst, mutig zu sein, hin zu spüren zu dem was ist, trotzdem tief zu atmen, dich trotzdem zu entspannen. Du lernst, die Angst zu erlauben, die du natürlich vor dem Schmerz hast. Und Du lernst mehr und mehr Kontrolle darüber zu erlangen, wie du ihn beeinflussen kannst und mit dem Schmerz umgehst. Und wie du mit dir umgehst.
Denn abgesehen von dem Zustand, mit dem du auf den Schmerz reagierst gilt es auch herauszufinden, warum der Schmerz überhaupt da ist. Ist es eine Fehlbelastung, die du durch eine ungünstige Körperhaltung bewirkst? – Dann machen wir eine Standanalyse und du lernst, deine Haltung wieder ins Lot zu bringen. Ist es eine strukturelle Schwäche oder (verspannte) Unbeweglichkeit in einem Körperbereich, der dazu führt, dass andere Bereiche das ausbaden müssen und jetzt überbelastet sind? – Dann bekommst du Übungen aus der Spiraldynamik oder Pilates, um die schwächelnden Bereiche wieder fit zu bekommen und du lernst die starren Bereiche wieder beweglicher zu machen. Bewegst du dich überhaupt zu wenig, oder fehlt der Genuss in deinem Leben, und dein Körper schreit nach Tanz und Tollerei? Zwingst du dich, in einer Situation zu verharren, die deinem Wohlbefinden schmerzhaft abträglich ist? – Dann kannst du lernen, deinen Schmerz als Motivation zu nutzen, Dein Leben zu verändern, um das, was Dir fehlt wieder zurückzugewinnen.
Und keine Sorge, meist sagt der Körper sehr klar was Sache ist. Du musst ihm nur zuhören. Und ich übersetze gerne. 🙂
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Jetzt erst recht!
Foto: CoraKHiebinger. Linzer Klangwolke 2024 Kürzlich brachte eine Klientin im Gespräch über die letzten Überschwemmungen ihren Frust zum Ausdruck und meinte, sie wolle schon nicht einmal mehr Müll trennen, weil sowieso alles keinen Sinn habe. Ich verstehe ihren...
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Wie Du das Gelernte im Alltag integrierst Und wie kann ich das im Alltag umsetzen? Das ist eine Frage, die mir immer wieder gestellt wird. Manchmal gleich zu Beginn eines Lernprozesses, nachdem ich einer neuen Klient*In erklärt habe, wie Sitzungen ablaufen und was sie...
Was ist eigentlich so spannend an Faszien?
Wie Ihr vermutlich wisst, habe ich gleich nach meiner Ausbildung zur Heilmasseurin die Ausbildung zur Therapeutin für integrative Fasziopathie begonnen. Also, wie so oft in meinem Leben begann ich mal damit – unter dem Motto – na gut, das klingt interessant, ich schau...