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Foto: Cora Hiebinger

Mehr Genuss durch Verzicht

Heute hat mir Birgit von Ernährungssachen bei der Erstellung unseres zweiten Videos erzählt, dass Fasten gerade ein vielzitierter Begriff auf Social Media ist. Offensichtlich hat die Fastenzeit, die diesen Mittwoch beginnt, sich von religiös-asketischer Einkehr zum Mainstream-Thema entwickelt. Das Video lade ich im Laufe der Woche hoch, danache gibt es dann noch einmal die Videos mit Entspannungsübungen.

Fastenzeit und Frühling

Ich mochte die Fastenzeit ja immer schon – nicht zuletzt, weil es der Auftakt zu Ostern ist und Ostern für mich die schönsten Feiertage des Jahres sind. Der Frühling ist dann üblicherweise schon mehr oder weniger in vollem Schwung und die Familie kommt zusammen, um gemeinsam abzuhängen. Ich habe seit Jahren die Aufgabe übernommen, Eier und Schokolade zu verstecken. Und trotz anfänglichen Abwinkens sind dann immer alle mit viel Gelächter beim Suchen, allen voran meine Tante und Mutter, beide in ihren Achtzigern. Und mittlerweile gibt es sowieso auch wieder Kleinkind-Nachwuchs, d.h. die Tradition bleibt aufrecht damit auch die nächste Generation wieder in den Genuss des Osterhasen kommt.

Gerne überlege ich mir also für diese 40 Tage, worauf ich verzichten möchte und wähle dann üblicherweise Süßigkeiten – etwas, was mir wirklich eher schwerfällt. Weil so ganz ohne Schokolade ….. Und ohne Kaffee ist fast noch schwieriger als ohne Schokolade auszukommen.

Verzicht im Duden

Verzicht hat aber nicht nur die Bedeutung von Entsagung, Aksese und Enthaltung. Laut Duden kann „verzichten“ auch ein Ausdruck der Ablehnung sein – ich verzichte darauf kann dann heißen – ich brauche, möchte etwas nicht. Oder ich verzichte darauf, Gewalt anzuwenden oder eine Stellungnahme zu einem Thema abzugeben, d.h. ich tue es einfach nicht.

Verzicht als Disziplin

In jedem Fall geht es für uns hier ja derzeit doch mehrheitlich um freiwilligen Verzicht. Und ich kann mich in Verzicht üben – und dabei üben zu verzichten. Was uns, denke ich, allen immer wieder mal gut tut. Und mehr und mehr auch zur Notwendigkeit werden wird, wenn man die Schlagzeilen so liest.

Aufmerksamkeit

Abgesehen davon, dass es Sinn macht, immer wieder mal zu überdenken, ob man nicht etwas weglassen kann – im Sinne Verzicht = Enthaltung – ich tue etwas (zumindest für eine Zeit lang) gar nicht mehr – oder im Sinne von Verzicht = Mäßigung, Zurückhaltung – ich reduziere bewusst etwas, tue etwas weniger (oft), – oder im Sinne von Verzicht = ich lehne ab, ich möchte wirklich nicht (mehr) – schult diese Übung in Verzicht wieder einmal unsere Aufmerksamkeit. Weil um entscheiden zu können, worin ich mich denn nun mäßigen möchte, oder was es mir wert ist aufzugeben, oder was ich gar aus meinem Leben verbannen möchte, müssen wir uns zuerst überlegen, wie wir denn eigentlich leben und unsere Zeit verbringen wollen, wie wir Dinge tun, mit welchen Dingen wir uns umgeben, wie wir mit anderen umgehen, mit oder über andere sprechen. Eben überlegen, wie wir sein wollen. Gleichzeitig stärkt es unseren Willen und unser Durchhaltevermögen.

Unabhängigkeit

Und es macht uns unabhängiger. Als mein Computer letzte Woche ein technisches Problem hatte und ich ihn für ganze drei Tage nicht zur Verfügung hatte wurde mir erst wieder mal bewusst, wie sehr ich von diesem Gerät abhänge – und wie viel Zeit ich z.Tl. auch mit ihm verschwende.

Durchhaltevermögen und Wille

Wenn Du – wie ich – seit Jahrzehnten in der Früh Kaffee trinkst, benötigst du Aufmerksamkeit und Durchhaltevermögen wenn du nun entscheidest, das für eine Zeit lang nicht zu tun. Sonst schaltest du vielleicht trotz gutem Vorsatz die Kaffeemaschine ein, weil das im Halbschlaf einfach automatisch abläuft. Von der Abhängigkeit ganz zu schweigen. Ich habe üblicherweise für drei Tage Kopfschmerzen, wenn ich eine Kaffeepause einlege. Aufmerksamkeitstechnisch ist jedoch cold turkey fast einfacher als dich in etwas nur zu mäßigen. Weil dann brauchst du auch genügend Aufmerksamkeit dafür, um mitzubekommen, ob du die von dir gewählte Menge an Zigaretten, Keksen oder Serien bereits konsumiert hast. Und den Konsum dann eben abzubrechen, wenn es genug ist.

Genuss

Ich habe mir vor Jahren angewöhnt, fast ausschließlich regionale und saisonale Lebensmittel zu kaufen. Das heißt, ich „verzichte“ auf Erdbeeren im Herbst und Tomaten im Winter. Ich gebe zu, dass mir jetzt im März das Wurzelgemüse schön langsam zum Hals raushängt, aber dafür ist nichts vergleichbar mit der Freude über die ersten Wiener Freilandradieschen, kurz danach gefolgt von Frühlingszwiebeln und Kohlrabi – und dann ist auch gleich Spargelzeit und ich reize sie jedes Jahr voll aus und bin dann froh, dass die Saison so kurz ist, weil ich ihn dann nicht mehr riechen kann.

Ähnlich ist es, wenn ich für 40 Tage kein einziges Stück Schokolade, keine Kekse oder Tortenstücke zu mir nehme – um dann am Ostersonntag einen frisch gebackenen Osterstriezel zum Frühstück zu genießen. Und – eh schon wissen – Schokoeier, -pipperl und -hasen suchen und finden. Und manchmal muss man nicht einmal auf den Genuss warten – der Genuss den es mir bescherte, aufgrund der Zeitersparnis durch nicht am Computer sitzen können früher ins Bett zu gehen mit einem guten Buch – und dann ausgeschlafen mit Vogelgezwitscher frühmorgens aufzuwachen mit Lust auf Atemübungen und Yoga – der war sofort da.

Verzicht üben als paradoxe Intervention

Es klingt vielleicht paradox – aber probier es selbst einmal aus. Entscheide dich, worauf du verzichten möchtest bis Ostern – ein Nahrungsmittel, eine Tätigkeit, eine Art und Weise mit jemandem/etwas umzugehen. Und wähle zusätzlich, ob du gänzlich verzichten oder dich nur mäßigen möchtest. Und dann übe dich darin und genieße die Ergebnisse sofort und danach. Möglicherweise erlebst du die Osterfeiertage dann mit verbesserter Aufmerksamkeit, mehr Genuss, Freude über dein Durchhaltevermögen, gestärktem Willen und mit mehr Bewusstheit darüber, wie Du üblicherweise automatisch tickst. Und vielleicht auch mehr Zeit für Dinge, die sich möglicherweise als wichtiger entpuppen als die, auf die du beschlossen hast zu verzichten.

 

 

 

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