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Als österreichische Wort des Jahres 2016 wurde mit „überwältigender Mehrheit“ „Bundespräsidentenstichwahl-wiederholungsverschiebung“ gewählt, laut der Pressemitteilung der Jury ist dieses Wort:
„…sowohl inhaltlich als auch aufgrund seiner Länge ein Sinnbild und ironischer Kommentar für die politischen Ereignisse dieses Jahres.“
In Deutschland machte das Wort „postfaktisch“ das Rennen:
„Das Kunstwort postfaktisch, eine Lehnübertragung des amerikanisch-englischen post truth, verweist darauf, dass es in politischen und gesellschaftlichen Diskussionen heute zunehmend um Emotionen anstelle von Fakten geht. Immer größere Bevölkerungsschichten sind …. bereit, Tatsachen zu ignorieren und sogar offensichtliche Lügen bereitwillig zu akzeptieren. Nicht der Anspruch auf Wahrheit, sondern das Aussprechen der »gefühlten Wahrheit« führt im »postfaktischen Zeitalter« zum Erfolg“.
Der Wahlkampf zum Brexit und auch der Donald Trump’s, der mit wahrheitswidrigen Behauptungen nur so um sich schmiss sind grasse Beispiele für „postfaktische Politik“.
Gelogen wurde immer schon. Möglicherweise hat die Nonchalance und Frequenz, mit der mittlerweile beinhart Unwahrheiten hinausposaunt und sogar eigene Websites erstellt werden, die nur dazu dienen gezielt Falschinformationen zu verbreiten, ein neues Ausmaß erreicht. In Deutschland hat das bereits den Ruf nach einem „Abwehrzentrum gegen Desinformation“ erschallen lassen.
Abgesehen davon, dass ein solches Abwehrzentrum Assoziationen an ein Orwell’sche Wahrheitsministerium weckt, meinte Staatssekretärin Duzdar zu Recht, dass das Phänomen der Falschmeldungen nicht allein durch eine Strafkultur zu lösen sei. In ihrer Meinung wird sie von Expert*Innen unterstützt, die es für sinnvoller halten, es Nutzer*Innen zu ermöglichen, Falschnachrichten selbst zu entlarven.
Wie können wir uns aber gegen den Ansturm der Lügen feien?
Es geht ja nicht nur um die Politiker*Innen, die Unwahrheiten über ihre politischen Gegner*Innen verbreiten oder Wunder versprechen.
Auch als Konsument*Innen werden wir gerne angeschummelt wenn wir nicht aufpassen. So listete der Verein für Konsumenteninformation (VKI) in einem Jahresrückblick „versteckte Preiserhöhungen, Mogelpackungen, unrichtige Herkunftsangaben und unangemessene Bewerbung kaum enthaltener Zutaten“ als Negativbeispiele; die aktuellen Highlights können auf http://www.konsument.at/lebensmittel-check eingesehen bzw. gemeldet werden.
Leider wird auch bei Medikamenten geschummelt: so berichtet die Dezember-Ausgabe 2016 des Forum Med „Die Steigerung der Anträge zur Kostenübernahme“ eines teureren Gichtmittels „ist auf die zunehmend aggressive Werbung durch Außendienst-Mitarbeiter und den gezielten Einsatz von Werbebroschüren des Pharmaunternehmens zurückzuführen“ und „medizinisch wissenschaftlich nicht haltbar“.
Aber es geht auch viel subtiler. Als die Süddeutsche Zeitung 2004 die Reihe „Große Romane des 20. Jahrhunderts“ startete waren unter den 50 Werken, die ausgewählt worden waren genau 3 von Frauen. Auch in die Fortsetzung der Reihe mit weiteren 50 Titeln schafften es nur 14 Autorinnen. Schriftstellerinnen wie Toni Morrison (Literaturnobelpreisträgerin), Elfriede Jelinek (Literaturnobelpreisträgerin), Alice Munro (Literaturnobelpreisträgerin), Margaret Atwood (die ihn auch verdient), Octavia Butler, Gloria Naylor – alles Frauen die mir auf die Schnelle einfallen – sind nicht vertreten. Oder kürzlich im Oberen Belvedere, wo zu Broncia Koller-Pinell, die zu den bedeutendsten Künstler*Innen Österreichs der Jahrhundertwende zählt, die lapidare Bemerkung angeführt war: „Ihr Werk war oftmals umstritten und harter Kritik ausgesetzt“. – eine Aussage, die man übrigens auf Wikipedia wortgleich findet. Na geh, angefeindet ist sie worden, zur Jahrhundertwende? Wieso denn gar?
Und dann gibt es natürlich auch zahlreiche Gelegenheiten, bei denen wir uns selbst austricksen und täuschen. Uns weismachen, wir bräuchten keine Pause, obwohl wir absolut am Limit sind; so tun als wären wir ganz zufrieden mit einer Situation, obwohl wir kurz vorm Explodieren sind; uns einreden, dass wir wichtigeres zu tun haben als unsere Träume (oder guten Vorsätze) zu erfüllen.
Was können wir tun, um Schieflagen zu bemerken, Ungereimtheiten zu entlarven? Aufzuhören uns selbst zu betrügen?
- Fakten überprüfen: das Internet macht es möglich, Falschmeldungen rasch zu verbreiten. Genauso rasch können sie auch als solche entlarvt werden. Und es gibt ja auch immer noch richtige Bücher 😉 .
- Aufmerksamkeit: bei Dingen wie Mogelpackungen und Etikettenschwindel hilft nur eines – aufmerksam sein, schauen, lesen, nachprüfen.
- Atmen: Atmen hilft nicht nur, unseren Körper besser zu spüren; ein paar tiefe Atemzüge zu nehmen gibt uns auch Zeit unser Gegenüber wahrzunehmen und zu spüren, ob die Person authentisch ist – oder ein Wolf im Schafpelz.
- Körper spüren: wenn du atmest und deinen Körper spürst bemerkst du vermutlich rasch, ob Du Dich rundum wohlfühlst und mit Dir im Reinen bist, oder Dein Bauchgefühl Dir sagt, dass etwas nicht stimmt.
Falls Du Unterstützung dabei möchtest, Deine Körperaufmerksamkeit, Atmung oder Dein Bauchgefühl wiederzufinden oder zu verbessern – ab 9. Jänner gibt es wieder Termine. Falls Du meine Arbeit noch nicht kennst erhältst du mit dem Code-Wort „postfaktisch“ bis 9. Februar 2017 50% Rabatt auf eine Erstsitzung.
Schöner Eintrag, Cora! Mir gefällt die Wut, die ich da u.a. rauslese (oder reininterpretiere) 😉 Und es zeigt auch wie wichtig es ist, dass wir eben genau das machen: Informationen hinterfragen, aufmerksam und wach(sam) bleiben, unsere Körper spüren und auf unser Bauchgefühl hören. Danke dir!
Liebe Tomke, ja, Wut ist sicher dabei – und eine gewisse Fassungslosigkeit, dass diese Unwahrheiten so durchgehen oder noch nicht einmal als solche wahrgenommen werden. Wie schon Ingeborg Bachmann 1959 gesagt hat: „Die Wahrheit nämlich ist dem Menschen zumutbar.“ http://www.mediathek.at/atom/1571A721-0A5-00013-00000CD4-15711836/?em=1