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Da ich Radfahrerin bin, kenne ich Staus kaum; es ist fast immer genügen Platz vorhanden, um sich durchzuschlängeln und notfalls kann ich das Rad auch über Hindernisse heben. Kürzlich fuhr ich jedoch mit Freundinnen über das verlängerte Wochenende auf Kurzurlaub nach Istrien. Nach 4 Tagen genußvollstem Abhängen, mit köstlichem Essen, guten Büchern, Schwimmen im Meer und viel Schlaf brachen wir am Sonntagnachmittag mit den ersten schwarzen Gewitterwolken zurück nach Wien auf. So wie tausende andere Kurzurlauber*Innen aus den Nachbarländern. Und landeten – vorhersehbar – im Stau. Das heißt kurz vor Ljubljana drei Stunden lang im Schritttempo. Frustrierend genug für uns, aber wahrscheinlich noch viel schlimmer für die, die nach Laibach zurückwollten, und so kurz vor dem Ziel festsaßen. Wir haben dann unsere alten Lieblingsnummern aufgelegt und laut mitgesungen, was uns die Zeit etwas verkürzte 😉
Die Definition für Frust lautet im Duden:
„[Erlebnis einer] Enttäuschung und [vermeintlichen] Zurücksetzung durch erzwungenen Verzicht oder versagte Befriedigung“,
als Synonyme werden u.a. Ärger, Entmutigung, Enttäuschung, Missmut, Unlust, Verbitterung“ aufgelistet. Als Bild finde ich im Stau zu stehen, nicht vor und zurückzukönnen, festzustecken, ein sehr passendes Bild zur Beschreibung alltäglicher Frustrationserlebnisse. Wenngleich im Leben der Stau meist länger als 3 Stunden anhält! Interessant finde ich die Auflistung der Synonyme – aus meiner persönlichen Erfahrung und der mit meinen Klient*Innen würde ich diese als Reaktion auf den Frust beschreiben: Du möchtest etwas erreichen, erwartest Dir ein bestimmtes Resultat – und Deine Erwartungen werden enttäuscht. Egal was Du tust, Dein Ziel ist nach wie vor in weiter Ferne, Du bekommst nicht, was Du willst oder was Dir Deiner Meinung nach zusteht, Dinge laufen nicht so, wie Du Dir das vorstellst: und reagierst verärgert, bist unzufrieden, vielleicht auch ganz einfach traurig, je länger Du feststeckst, desto größer wird Dein Missmut, dazu gesellen sich Unlust und schließlich endet das ganze möglicherweise in Verbitterung und Aufgeben.
Ähnliches beschreibt in einem Zeit-Artikel ein Arbeitsmediziner der sich mit Frustration im Beruf beschäftigt. Nach anfänglicher Begeisterung nehme schon bald der Frust zu und viele beginnen sich zu fragen ob ihre Arbeit überhaupt sinnvoll sei. „Die nächste Stufe kann Apathie sein: Man leistet bloß noch Dienst nach Vorschrift“.
Nicht dass ich gerne in wie auch immer gearteten Staus stecke. Aber genauso, wie Angst, oder Schmerz oder Wut nicht unsere Feinde sind (wer jemals einen Lernprozess bei mir gemacht hat, hat das schon gefühlte 100 Mal gehört 😎 ), ist es auch Frustration nicht, ganz im Gegenteil!
Meist muss der Leidensdruck ein gewisses Ausmaß erreichen, damit wir in die Gänge kommen und etwas an unserer Situation verändern. Wenn wir nun aber gar nicht mehr richtig spüren, dass wir frustriert sind, dass unsere Erwartungen enttäuscht wurden, wir eigentlich etwas Anderes woll(t)en, sondern mit Unlust und Verdrossenheit auf unsere Situation reagieren, machen wir es uns nicht gerade leicht, unser Ziel trotz Hindernissen doch noch zu erreichen.
Ich kann mich noch gut an die ersten Wochen in meinem einzigen Bürojob in einer börsennotierten Firma erinnern: wenngleich die Begeisterung und Neugierde groß war – endlich ein gutbezahlter Job und weg aus dem schlecht dotiertem NGO-Bereich und prekären Lebensbedingungen als Tänzerin – war schon allein die Gewissheit quälend, jetzt täglich ein Minimum von 8 Stunden am Computer zu arbeiten (und oft auch mehr – natürlich – sehr modern – ohne Überstundenabgeltung). Nach einiger Zeit hatte ich mich an das lange Sitzen „gewöhnt“ und spürte mein körperliches Unbehagen und meinen Frust über das Arbeitsklima nur mehr als schleichende Gewichtszunahme und einen gewissen Grund-Grant der langsam von mir Besitz ergriff.
Erst als ich in meinem Lernprozess als Klientin der Grinberg-Methode meinen Körper wieder besser spüren lernte, mein Energielevel sich verbesserte und mir wieder klar war, dass ich New York nicht verlassen hatte, um jetzt in Wien so zu leben wie ich es tat, spürte ich auch den Leidensdruck wieder so intensiv, dass ich ihn als Motivation nutzen konnte, um etwas zu ändern.
Autor und Radiosprecher Tim Harford betont in seinem TED-Talk, wie wichtig Frustration ist, um Lösungen zu finden. So erwähnt er eine Studie, in der Gruppen, die entweder aus vier befreundete Personen, oder aus drei, die sich kannten plus einer ihnen fremden Person zusammengesetzt waren eine Aufgabe gestellt wurde. Die Freund*Innen-Gruppen hatten Spaß und das Gefühl, gut zu arbeiten, lösten ihr Rätsel aber nur in 50% der Fälle. Die gemischten Gruppen waren eher frustriert, fanden das Erlebnis nicht so wahnsinnig prickelnd, waren aber mit einer 75%igen Lösungsquote sehr viel erfolgreicher. Er führt noch einige Beispiele an, in der sich ein als frustrierend empfundener Nachteil im Endeffekt als äußerst hilfreich erwies.
Dann erwähnt er noch die „oblique strategies“ die Brian Eno für Musiker*Innen entwickelt hat und die zur Entwicklung einiger großartiger Albums der Musik-Geschichte geführt haben: z.B. Heroes von David Bowie (RIP).
Dabei zieht man eine Karte aus einem Stapel, auf der dann Aufträge wie z.b. „change instruments“, „Use fewer notes“, oder „Repetition is a form of change“ stehen. Die Musiker*Innen lieben diese Aufträge keineswegs, aber die Methode funktioniert.
Ich habe einmal etwas Ähnliches gemacht, als ich in New York an einer Choreographie arbeitete – stundenlang hatte ich schon in der Bibliothek recherchiert, die Musik – ein schweres, langsames Stück von Alfred Schmittke – stand auch schon fest – aber kreativ tat sich trotz näher rückender Deadline Woche für Woche gar nichts. Bis ich meinen Frust einfach nicht mehr aushielt und ein völlig anderes Musikstück von Ray Charles auflegte, um mich aus meinem „Stau“ zu befreien. Und das Stück, dass ich dann mit einer Leichtigkeit und Geschwindigkeit kreierte, ist nach wie vor eines meiner Lieblingschoreographien.
Einige der Aufträge von Brian Eno erinnern stark an Werkzeuge, die auch ich in meiner Arbeit als Praktikerin verwende: „Breathe more deeply, Get your neck massaged, Ask your body, State the problem in words as clearly as possible, Discover the recipes you are using and abandon them“: frei übersetzt atmen, entspannen, Körper spüren, die Realität beschreiben, erkennen was Du (automatisch, wiederholt) tust.
Andere Aufträge sind – wie ein Wechsel von Schmittke zu Ray Charles eine Intervention, die Chaos ins System bringt, es mal etwas durchschüttelt, den Frust-Stau durchbrechen hilft: „Turn it upside down, Faced with a choice, do both, Don’t be frightened to display your talents, Honor thy error as a hidden intention, What would your closest friend do? Give way to your worst impulse, Accept advice.“
Wenn Du also das nächste Mal frustriert bist, probiere mal eine der angeführten Möglichkeiten:
- Atme
- Mach einen Schritt, komm wieder in Bewegung. Jede From von Bewegung oder Übung, die du mit Aufmerksamkeit ausführst, kann Dir helfen, wieder mehr im Körper zu sein.Spüre was ist, d.h. stimme zu, dass du die Frustration wirklich spürst.
- Entspanne dich.
- Atme
- Versuche eine Beschreibung des Status quo, was passiert wirklich gerade in der Realität?
- Gibt es eine Strategie, die du automatisch wiederholst, weil sie bislang funktioniert hat – jetzt aber nicht mehr, z.B. weil sich die Grundbedingungen geändert haben? Bemerke, was du tust/wie du wirst und passe dich an die neuen Gegebenheiten an.
- Probiere eine der „oblique strategies“ aus, tue etwas, dass den status quo etwas durchschüttelt. Das kann schon sein, eine deiner Routinen ganz leicht zu verändern.
- Atme
Ich wünsche Dir viel Spaß und Erfolg dabei, Deinen Frust für Dich zu nutzen – und freue mich über einen Kommentar zu Deinen Erfahrugen!