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Kürzlich war ich Zeugin eines Konflikts im Straßenverkehr. Nachdem der Autofahrer wütend ausgestiegen und dem Radfahrer nachgelaufen war, beschwerte er sich lautstark bei einem Passanten, dass der Mann auf dem Rad „mitten auf der Straße“ gefahren sei und ihn dann angepöbelt hätte. Was ich gesehen hatte war, dass der Autofahrer den Radfahrstreifen „mitbenutzt“ und seinen Arm aus dem Fenster gestreckt hatte, als der Radfahrer an ihm vorbeiwollte und der dann unwillig reagierte.
Auch bei einem Gespräch das ich neulich führte wunderte ich mich, dass mein Gegenüber die Ereignisse so völlig anders darstellte, als ich sie erlebt hatte, gefolgt von Schuldzuweisungen an Dritte und die kategorische Ablehnung jeglicher Verantwortung für die Geschehnisse.
Ähnlich hat dann auch einer der Kandidaten die Schuld am Wahldebakel beim Koalitionspartner gesucht und sein Chef bezichtigte den Bundeskanzler als „das Hauptproblem in der Regierung“ (Der Standard, 26.4.2016), so als wäre seine Partei nicht Teil der selben. Anton Pelinka schreibt (Die Zeit, 28.4.2016):
„SPÖ und ÖVP gelang es am Sonntag nach dem Wahldebakel nicht, den für ein anständiges Begräbnis notwendigen Stil und die erforderliche Würde aufzubringen. Ein wehleidiger Verweis auf den Sündenbock Meinungsforschung da, eine Schuldzuweisung an den Koalitionspartner dort.“
Auch hier, keine Einsicht, dass eine Strategie gescheitert ist, kein Versuch, sich mögliche eigene Fehler einzugestehen.
Wer schon einmal Kindheits-Erinnerungen mit denen seiner Geschwister verglichen hat wird wissen, dass unsere „Wahrheiten“ oft sehr unterschiedlich sind – wir meist sehr unterschiedliche Schlussfolgerungen aus unseren Erlebnissen ziehen. Auch kann das, was nach Ereignissen passiert unsere Erinnerungen beeinflussen, ganz abgesehen davon, welche Glaubenssätze wir haben, was unser erster Eindruck war, wie wir unbewusst auf Bedingungen (Gerüche, Geräusche, etc. ) um uns reagieren. Auch haben wir die Tendenz, all das, was unseren Überzeugungen entspricht und diese bestätigt eher wahrzunehmen, stärker zu gewichten, und uns besser daran zu erinnern (= Bestätigungsfehler oder confirmation bias) als Informationen, die unseren Überzeugungen widersprechen.
Speziell in emotional geladenen Situationen, und wenn klar ist, dass etwas nicht so gut gelaufen ist, fällt es oft schwer, der Realität ins Auge zu blicken und sich einzugestehen, dass man etwas verbockt hat. Die Bereitschaft, die Fakten objektiv zu betrachten und zu überprüfen, ob die Verantwortung vielleicht auch bei einer/m selbst liegt ist eine Möglichkeit, Dinge zu verbessern und den selben Fehler in Zukunft zu vermeiden.
Niemand von uns liebt es, Fehler zu machen, oder nicht recht zu haben. Dazu kommt, dass in unserer Gesellschaft kaum eine Fehlerkultur existiert. Wie aber könnten wir erkennen, dass ein Fehler passiert ist, wenn wir uns der Realität verschließen, dass jede unserer Handlungen Konsequenzen hat und dass manches danebengeht? Wie könnten wir Lösungen finden für reale Probleme, wenn wir keine Verantwortung für unseren Beitrag daran übernehmen wollen, nicht einmal andenken, dass wir einen Beitrag geleistet haben könnten und die Schuld lieber anderen zuweisen?
Tatsache ist, dass die Zeiten unruhiger und unbequemer geworden sind und dass das vermutlich so weitergehen wird. Tatsache ist auch, dass es keine einfachen Lösungen gibt, auch wenn uns das manche glauben machen wollen und auch gleich genau wissen, wer die Sündenböcke sein sollen – obwohl:
„…..Wir sprechen über eine Partei, die den Bürgern mit dem Hypo-Skandal den größtmöglichen Schaden an ihrem Wohlstand zugefügt hat, im Gedankenspiel nur zu übertreffen durch eine Staatspleite.“
(Christian Rainer im Profil, 24.4. 2016)
Egal ob es sich um einen Zusammenstoß von VerkehrsteilnehmerInnen, einen Beziehungsstreit oder sonstige Konflikte handelt, es gilt, die Fakten zu überprüfen, sich immer wieder vor Augen zu führen, dass wir möglicherweise nicht alle Informationen zur Verfügung haben. Es gilt, aufmerksam zu sein, unsere Wahrnehmung zu schärfen dafür, was eigentlich Sache ist, zu hinterfragen, ob unsere Beurteilung der Realität klar ist oder gefärbt von Schlussfolgerungen, Urteilen, Reaktionen, die wir über Jahre eingeübt haben und die unsere Wahrnehmung trüben. Und es gilt zu hinterfragen, ob und wie unsere Handlungen, Aussagen, Haltungen dazu beigetragen haben mögen, dass ein Problem überhaupt existiert. Nur weil es mittlerweile normal ist, dass es immer alles gibt, hat es doch Auswirkungen, wenn wir in Österreich im Februar Erdbeeren kaufen.
Barack Obama hat sein letztens Correspondence Dinner mit folgenden Worten abgeschlossen, und ich denke, was er sagt gilt nicht nur für JournalistInnen.
„…. this is also a time around the world when fundamental ideals of liberal democracies are under attack and when notions of objectivity and of free press and of facts and of evidence are trying to be undermined or in some cases ignored entirely. In such a climate it is not enough just to give people a megaphone. And that’s why your power and your responsibility to dig and to question and to counter distortions and untruths is more important than ever. Taking a stand on behalf of what is true does not require you shedding your objectivity, in fact it is the essence of good journalism. It forms the idea that the only way we can build consensus, the only way we can move forward a s a country, the only way we can help the world mend itself is by agreeing on a baseline of facts when it comes to the challenges that confront us all.”
Alle, die daran interessiert sind, ihre Körperaufmerksamkeit zu steigern, um die Realität besser und Filter-loser wahrzunehmen, und damit der „Wahrheit“ etwas näher zu kommen lade ich ein, am 7.5., 11h, 10.5., 19h und 17.5., 18:30h für jeweils eine Stunde kostenlos gemeinsam zu trainieren präsent und im Jetzt zu sein. Zur Anmeldung.