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Warum wir immer wieder hinterfragen sollten, was wir zu wissen glauben – oder – „Ent-schwurbelt“ Euch!

Trafen sich ein Rabbi und ein Imam in Wien…. So könnte einer der typischen Rabbiner-Witze beginnen. Allerdings ist dies kein Witz, sondern tatsächlich geschehen. Und dank meiner guten Freundin Ebru konnte ich neulich dabei sein, als der Wiener Gemeinderabbiner Hofmeister und der Imam Demir von ihren Erfahrungen auf der „Reise nach Jerusalem“ berichteten und die Fragen der mehrheitlich aus dem christlichen Kulturkreis stammenden Zuhörer*Innen beantworteten. Ein äußerst spannender Abend mit lebhaften Diskussionen.

Was mich besonders beeindruckt hat war die entspannte Klarheit mit der sowohl Rabbiner als auch Imam ihre Standpunkte und Erfahrungen darlegten. Und es war auch nicht „Toleranz“, was da im Raum mitschwang, vermittelt doch Toleranz immer auch etwas von Hierarchie – sich aus einer Position des Besserwissens bereiterklären (oder herablassen) eine andere Sichtweise zu tolerieren – sondern ein ganz selbstverständlicher Respekt auf gleicher Augenhöhe, Respekt sich selbst und den anderen gegenüber.

Wohl jede*r kämpft irgendwann heftig mit Glaubenssätzen, mit uralten Schlussfolgerungen, die als „Gematschger“, „Geschwurbel“ oder als allgemeines „sich runtermachen“, sozusagen als permanente verbale Selbstgeißelung in Erscheinung treten und sie immer wieder glauben machen, dass sie selbst oder das Leben und ihre Beziehungen eine einzige Katastrophe seien. Und obgleich es überhaupt keinen Spaß macht, ständig mit und über sich zu schimpfen oder in eine allgemeine Negativspirale der Gedanken zu verfallen, hält man doch ungerührt und beinhart an diesen Überzeugungen und Sätzen fest, die der Verstand wie eine Dreckschleuder in Endlosschleife über einen ausschüttet. Ich weiß, wovon ich spreche, war ich doch selbst lange Zeit meiner eigenen Dauerbeschallung ausgesetzt.

Meinen Klient*Innen mache ich oft den Vorschlag, dass sie, genauso wenig wie sie Strache oder Trump zuhören und glauben, auch wählen können, ihren unproduktiven, sich wiederholenden Glaubenssätzen (mit vielen „immer“ und „nie“) weder Glauben noch Aufmerksamkeit zu schenken. Meist bringt das alle zum Lachen; als intelligente, kritische, unabhängig denkende Menschen ist es ihnen selbstverständlich, offensichtliches Geschwafel, ob live oder in Printmedien, anzuzweifeln, zu hinterfragen und auf seine Gültigkeit zu überprüfen. Oder ganz einfach nicht zu glauben.

Die Diskussion mit Rabbiner Hofmeister und Imam Demir hat ein sehr anschauliches Beispiel geliefert, mit denen die Wichtigkeit des Überprüfens erneut bestätigt wird. Auf die leicht entrüstete Bemerkung einer Zuhörerin, wie denn das nun mit „Toleranz“ zu vereinbaren sei, dass gläubige Juden Frauen nicht die Hand gäben erklärte Oberrabbiner Hofmeister sehr sachlich, dass diese Konvention einen kulturellen, und keinen religiösen Ursprung hat.  So sei es in West-Europa durchaus üblich gewesen, dass Männer auch Frauen mit Handschlag begrüßten, und auch die westeuropäischen Juden folgten diesem kulturellen Brauch. In Ost-Europa hingegen war es unüblich, dass Männer Frauen die Hand gaben – und das wurde von den osteuropäischen Juden eben übernommen. Erst später entwickelte sich die osteuropäische Konvention zur Regel. Er meinte aber, dass selbstverständlich, streckte eine Frau einem Rabbiner die Hand hin, er sie schütteln würde, weil der Mann sonst die Frau beschämen würde – und das wäre auf jeden Fall schlimmer, als wenn die „Regel“ nicht eingehalten werden würde (siehe auch einen Artikel von Rabbiner Ahrens zu genaueren religiösen Hintergründen zum Thema)

Auch sei es auch in den USA im Geschäftsleben durchaus nicht überall üblich, dass Männer und Frauen sich die Hände schütteln, weil über allem die Gefahr von „sexual harassment“ schwebt – was wohl Forbes Magazine dazu veranlasst hat, einen Artikel darüber zu veröffentlichen, warum Frauen anfangen sollten Hände zu schütteln. Scheinbar schwebt auch hier im „liberalen Westen“ die Angst mit, dass in einer simplen Berührung vielleicht mehr steckt, als erwünscht (oder religiös erlaubt) ist. Ich kann mich noch deutlich an die Verabschiedung von meinem Chef in New York erinnern, dessen Händedruck eindeutig mitschwingen ließ, dass er, wenngleich verheiratet, ein nicht-kollegiales Interesse an mir hatte und war dadurch unangenehm berührt. Und interessanterweise gibt es speziell für die Arbeitswelt überraschend viele Angaben, was wer wann tun sollte und „darf“. (siehe: Hackordnung beim Händedruck in der Süddeutschen Zeitung und globale Anleitung für den richtigen Händedruck im Business Insider)

Was ich aus dieser Begegnung mit dem Rabbi und dem Imam mitnehme ist, dass es wohl nicht nur mir so geht, dass das was wir gelernt haben – egal jetzt ob in der Schule, über kulturelle Konventionen, oder durch persönliche Erfahrungen – nicht immer ganz richtig ist. Und dass eben, falls jemand wirklich aus religiösen Gründen vermeidet, einer Person des anderen Geschlechts die Hand zu geben, das nicht unbedingt auf Verachtung basiert. Und so entsprechen manche unserer Schlussfolgerungen über uns selbst vielleicht auch nicht der Wahrheit: z.B., dass wir grundsätzlich „komisch“, „unpassend“, „zu viel“, „unfähig“ oder sonst etwas seien.

In meiner Schulzeit schaute z.B. die Ernährungspyramide noch ganz anders aus als heute; was damals als der Weisheit letzter Schluss vermittelt wurde ist mittlerweile ernährungsphysiologisch widerlegt. Und in ein paar Jahren ereilt die jetzige Pyramide vielleicht das gleiche Schicksal. In New York brauchtet ich eine Zeit lang, bis ich kapiert hatte, dass auf die Frage „How are you“ absolut niemand eine ausführliche oder ehrliche Antwort, sondern maximal ein knappes, wenngleich mit einem Lächeln vorgetragenes „fine“ oder zumindest „ok“ erwartet. Und falls Du früher bei jeder Gefühlsregung die du gezeigt hast zurechtgewiesen wurdest, doch bitte nicht „hysterisch“ zu sein hast du möglicherweise eine Strategie entwickelt jegliche Emotion zurückzuhalten und dir nichts anmerken zu lassen. Und kreierst diesen „Zustand“ nach wie vor automatisch, obwohl du gar nie „hysterisch“ warst, sondern die Person(en), die dir das eingeredet haben, einfach überfordert waren, mit deutlichen Gefühlsäußerungen von Dir umzugehen.

In kulturellen und religiösen Angelegenheiten helfen Nachforschungen oder die aufmerksame Diskussion mit Menschen aus dem betreffenden Kulturkreis oder der betreffenden Religion. Bei unseren eigenen Schlussfolgerungen ist es nicht viel anders. Wir können nachforschen, woher wir unsere Glaubenssätze haben, von wem wir sie gelernt haben oder aufgrund von welchen Begebenheiten wir eine bestimmte Schlussfolgerung gezogen haben. Und wenn wir darauf kommen, dass das nichts ist, was für unser Leben heute noch passt, oder was wir glauben wollen, dann können wir auch wieder wählen sie nicht mehr zu glauben. Genauso, wie wir entscheiden können, wieder zu atmen, und dann einen Körperbereich wieder mehr zu entspannen. Das der Verstand sich nicht einfach abstellen lässt ist klar, aber wir können auch alle 15 Sekunden wieder neu entscheiden – ja, danke für die Information („immer passiert mir das“, oder dass „es sowieso wieder nichts werden wird“) aber ich atme jetzt wieder und spüre meinen Körper. Wir sind die Hüter*Innen unserer Aufmerksamkeit und können sie immer wieder weg vom „Geschwurbel“ hin auf die Realität richten – und recht viel realer als unsere Körper wird es nicht 😎 .

Ich freue mich, wenn Du in einem Kommentar etwas zu Deinen Erfahrungen mit Glaubenssätzen, falschen Schlussfolgerungen und ähnlichem erzählst! Und viel Spaß beim „Ent-Schwurbeln“.

 

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