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Foto: Sam72/shutterstock.com

Ich muss zugeben, dass mich alleine der Gedanke, ich müsste – ohne gemütlich meinen Kaffee getrunken zu haben – in der Früh überstürzt das Haus verlassen, unrund macht. Obgleich ich dieses Ritual (oder weniger euphemistisch ausgedrückt – diese Routine) nur ungern aufgebe, kann ich doch den Nutzen darin sehen, Routinen immer wieder einmal zu durchforsten und ordentlich zu rütteln – ganz nach dem Motto – Shake them, baby, shake them!

Die Definition, die der Duden für Routine liefert beinhaltet bereits die Mehrdeutigkeit, die diesem Wort innewohnt: so bedeutet Routine sowohl

1. durch längere Erfahrung erworbene Fähigkeit, eine bestimmte Tätigkeit sehr sicher, schnell und überlegen auszuführen als auch

2. (technisch perfekte) Ausführung einer Tätigkeit, die zur Gewohnheit geworden ist und jedes Engagement vermissen lässt, Automatismus, (blinde) Gewohnheit.

Schon in der Definition sieht man, wo der Hund begraben ist: Routinen beginnen eine negative Konnotation zu haben, sobald fehlendes Engagement, Automatismus und blinde Gewohnheit dazukommen, d.h., wie schon so oft, wenn unsere Aufmerksamkeit fehlt und sie zu Energieräubern werden.

Das Hauptargument für Routinen ist wohl, dass sie uns erlauben, wiederkehrende, kleine Entscheidungen nicht jedes Mal aufs Neue treffen zu müssen und „decision fatigue“ (siehe Fußnote unten) aus dem Weg zu gehen: so sagt z.B. Obama: „you need to focus your decision-making energy. You need to routinize yourself. You can’t be going through the day distracted by trivia.“ Er trägt deshalb nur graue oder blaue Anzüge und argumentiert, dass er die Anzahl von Entscheidungen zu reduzieren sucht, weil er zu viele andere Entscheidungen treffen muss – und daher keine Entscheidung darüber treffen will, was er anzieht.

Ein weiteres Argument für Routinen ist, dass sie uns helfen, „gute Gewohnheiten“ aufrechtzuerhalten, „schlechte“ in Schach zu halten und insgesamt Struktur und Ordnung in unser Leben zu bringen.

So sind z.B. Routinen wie vor dem Schlafengehen die Zähne zu putzen, jeden Mittwoch und Freitag Laufen zu gehen, jeden Morgen zu meditieren, oder nie Alkohol zu trinken, wenn Du mit dem Auto oder Fahrrad unterwegs bist, durchaus dazu angetan, unser Wohlbefinden und unsere Gesundheit zu sichern.

Selbst solche „guten Routinen“ können sich jedoch ins Negative verkehren – wenn wir z.B. die ursprüngliche Intention verlieren und einfach beinhart sitzen statt zu meditieren, wenn wir die Routine so ferngesteuert absolvieren, dass wir nachher nicht mehr wissen, ob wir uns jetzt die Zähne schon geputzt haben oder nicht – oder wenn wir so streng an unserem Wochenplan festhalten, dass auf die besagten Tage kein Geburtstagsfest fallen darf.

Warum es also Sinn macht, unsere Routinen immer wieder einmal zu hinterfragen und zu schütteln: Sobald unsere Aufmerksamkeit fehlt und die Routine zur blinden Gewohnheit wird, ist es Zeit!

1. Routinen zu ändern oder zu beenden kann dazu führen, dass Du neue Dinge kennenlernst, von denen du gar nicht wusstest, dass du sie kennen oder wissen möchtest (oder sogar solltest).

2. Unser Gehirn ist neuroplastisch, d.h. es kann bis ins hohe Alter neue Hirnzellen und neuronale Verbindungen herstellen. Soweit ich es verstanden habe, stärken wir jedes Mal, wenn wir etwas gewohnheitsmäßig wiederholen oder uns daran erinnern, die Nervenbahnen, in denen dieses Verhalten abgespeichert ist. Wenn wir etwas Neues lernen oder tun, werden neue Bahnen geschaffen – unser Hirn trainiert und erneuert sich sozusagen – durchaus erstrebenswert! Zusatz-Bonus: deine Kreativität und Inspiration werden gefördert.

2. Unser Hirn mag, was es kennt. Wer immer wieder Veränderung übt, bringt seinem System bei: hey, Veränderung ist schon ok, kann man lassen.

3. Flexibilität in Körper und Geist hält jung, frisch und knackig. Du kannst Routinenschütteln wie ein regelmäßiges Software-Update sehen, das dein System bereitmacht, auch auf veränderte Bedingungen entsprechend reagieren zu können, eine Fähigkeit, die in der heutigen Zeit nicht zu unterschätzen ist.

Nicht zuletzt: Routinen machen uns vorhersagbar: im Zeit-Artikel „Denn sie wissen schon, was ich will – wie Firmen und Behörden selbst unsere Wünsche vorhersehen“ über die neue digitale Macht wird berichtet, dass zahlreiche Algorithmen unser Leben und unsere Vorlieben ausforschen; vielleicht können wir ihnen im Kleinen ein Schnippchen schlagen, wenn wir uns immer wieder neu erfinden.

Auf zum Shaken!

1. Aufmerksamkeit ist Energie, Energie ist Lebendigkeit, Aufmerksamkeit macht dich wach und präsent. Übe dich darin, wieder Aufmerksamkeit in deine Routine zu bringen: z.B. verändere jeden Tag eine (andere) winzige Kleinigkeit an deinem gewohnten Ablauf – z.B. wenn du üblicherweise die Zahnpasta über die ganze Länge der Zahnbürste aufträgst, hör diesmal 2 mm vor Ende der Bürste auf. Oder, wenn du deinen Kaffee trinkst, halte die Tasse so, dass dein Zeigefinger 5 mm höher ist als sonst. Lass dir was einfallen, spiel damit.

2. Ändere die Geschwindigkeit in deiner Routine. Du bist im Laufschritt unterwegs, um noch rechtzeitig in die Arbeit zu kommen? Stell dir den Wecker eine halbe Stunde früher und probiere einmal, deinen Weg gemächlich zu beschreiten. Oder gehörst du zu den Dusch-TrödlerInen? Miss mit der Stoppuhr, wie lange du brauchst und dann reduziere die Zeit um 25%.

3. Ändere den Ort und die Art: du fährst immer mit dem Auto in die Arbeit? Nimm mal die Straßenbahn. Oder steig 2 Stationen früher aus der U-Bahn aus und geh das letzte Stück zu Fuß. Geh einen Weg, den du normalerweise nicht nimmst. Du gehst mit Blick zu Boden – hebe deinen Blick und schau mal, wie dein Weg auf Augenhöhe und über dir ausschaut. Du hast einen Lieblingsplatz in der Kantine, oder ein Lieblings-Café? Setz dich woanders hin. Du putzt immer mit der rechten Hand die Zähne? Probier es mit der Linken.

4. Mach was Neues. Du isst immer auswärts? Schau dir ein Kochbuch an, wähle ein Rezept und geh einkaufen – koch dir selber etwas. Lade FreundInnen ein. Probier etwas aus, was du noch nie gegessen hast. Probier eine neue Sportart aus, oder mach deinen gewohnten Sport in neuem Gelände, mit anderem Gerät.

5. Hol dir neuen Input. Was wir sehen oder hören triggert Emotionen und Gedanken und regt dein Hirn an neu zu reagieren. Geh in eine Ausstellung oder ein Konzert, etwas was du dir sonst nie anschauen oder anhören würdest; probiere kontemplatives Gehen (aus dem Shambhala-Buddhismus), in dem du übst, die Welt mit den Augen eines Kindes zu sehen und über Details staunen kannst.

Du siehst, die Möglichkeiten Routinen zu schütteln sind schier grenzenlos. Was fällt dir sonst noch ein? Wie geht es dir mit deinen Routinen? Was passiert mit deinem Aufmerksamkeitslevel, deiner Energie, wenn du deine Routine schüttelst? Ich bin gespannt! Schreib mir einen Kommentar, ich freue mich, von dir zu hören!

Fußnote:

Entscheidungen zu treffen ist anstrengend für unser Gehirn und kann zu „decision fatigue“ führen; je mehr Entscheidungen wir zu treffen haben, desto schwieriger wird es demnach, eine zu fällen. Üblicherweise sucht das Hirn dann nach Abkürzungen – entweder man wird wagemutig und impulsiv (statt sich gut zu überlegen, was Sinn macht und was die möglichen Konsequenzen der geplanten Handlung sind) – oder man wählt den ultimativen Energiespar-Modus – Nichtstun. Außerdem zapfen wir, um Entscheidungen zu treffen, die selben Willensstärke-Ressourcen an, die wir dafür benötigen, um Nein zu sagen zum Dessert (wenn wir abnehmen wollen), höflich zu bleiben, wenn unser Gegenüber unausstehlich ist, oder trotz Schlechtwetter Laufen zu gehen.

 

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