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Foto: Kentoh/Schutterstock.com

Egal weswegen jemand Sitzungen bei mir nimmt – der erste Schritt ist stets, die Aufmerksamkeit meiner KlientInnen darauf zu lenken was „ist“: was sich in der Realität abspielt, was im Körper real passiert. Das heißt dann vielleicht, dass wir bemerken, dass wir unsere Atmung drosseln und unsere Schultern hochziehen, sobald wir über den Streit mit der Chefin berichten; oder dass wir spüren, wie wir die Zähne aufeinanderbeißen und uns die Tränen verkneifen, wenn wir erzählen, dass unsere Großmutter im Sterben liegt. Dass wir merken, wie erschöpft wir eigentlich sind (weil alles gerade etwas viel ist), wir uns aber weiter zwingen so zu tun als könnten wir alles alleine schaffen.

Diese Art von Aufmerksamkeit für die Realität hat, finde ich, sehr viel mit Respekt zu tun: Respekt vor unserem Körper und uns selbst, davor, wofür wir stehen, was uns wichtig ist und wen wir lieben, wo die Grenzen unserer Belastbarkeit liegen.

Wenn wir beginnen, uns und die Realität zu respektieren, fällt es uns auch leichter, die Welt und die Anderen um uns zu respektieren und wir brauchen weniger Regeln und Verbote. Coach Andrea Lienhart schreibt:

„Wer aufmerksam und freundlich sich selbst gegenüber ist, kann das auch anderen gegenüber sein. Wer seine eigenen Bedürfnisse kennt und zu ihnen steht, erkennt, dass auch andere eigene Bedürfnisse haben, die es zu respektieren gilt. Wer sich selbst in allen Facetten annimmt, wird auch bei anderen Menschen akzeptieren, dass sie anders sind und dass sie ihre Stärken und Schwächen haben.“

Die ursprüngliche Bedeutung von Respekt – aus dem lateinischen respectus: „das Zurückschauen; Rücksicht“ hat sich gewandelt zu „auf Anerkennung, Bewunderung beruhende Achtung“ bzw. „vor jemandem aufgrund seiner höheren, übergeordneten Stellung empfundene Scheu“ (Duden). Interessanterweise ist im Englischen neben dieser dem Deutschen ähnlichen Definition die ursprüngliche Bedeutung des Wortes noch besser erhalten: respect: „due regard for the feelings, wishes, or rights of others“.

Der Respekt den ich meine hat also nichts mit Bewunderung oder Obrigkeitshörigkeit und Angst zu tun, sonder ist eine Form der Anerkennung, Wertschätzung, Aufmerksamkeit und Ehrerbietung gegenüber einem anderen Lebewesen.

Unser Körper hat ganz sicher das Bedürfnis, von uns wahrgenommen und wertgeschätzt zu werden: wenn er Hunger hat, sollten wir ihm etwas zu essen geben, wenn er müde ist, für Erholung sorgen, wenn er Schmerzen hat, wenn möglich das den Schmerz erzeugende Problem beseitigen. Tun wir das, wird er uns mit großer Wahrscheinlichkeit (und etwas Glück) über lange Jahre hinweg gute Dienste leisten. Wie bei guten Vorsätzen, die wir nur umsetzen können, wenn wir auch in die Gänge kommen und etwas tun, benötigt eben auch Respekt eine Aktion, eine Umsetzung.

Nun haben wir auch alle das Bedürfnis, von anderen wahrgenommen zu werden. Nachdem wir Menschen uns gegenseitig spiegeln sollte sich – wenn nun jede/r von uns beginnt, mit uns selbst und anderen respektvoll umzugehen, der Welt mit Wertschätzung und Aufmerksamkeit zu begegnen, sich diese Art des Umgangs rasch ausbreiten. Gerade in Zeiten des Umbruchs ist Respekt wohl nicht nur wünschenswert, sondern sogar notwendig, wenn wir uns unsere Humanität erhalten wollen. Darauf, dass sich die Welt verändert hat auch US-Präsident Obama in seiner letzten „State of the Union“ Rede hingewiesen:

„We live in a time of extraordinary change. — change that’s reshaping the way we live, the way we work, our planet, our place in the world. …… It’s change that can broaden opportunity, or widen inequality. And whether we like it or not, the pace of this change will only accelerate.“

Abgesehen von der Möglichkeit, Sitzungen zu nehmen, um die Realität deines Körpers wieder zurückzugewinnen und aus alten, sich wiederholenden Reaktionsmustern auszusteigen, bieten sich im Alltag zahlreiche Möglichkeiten an, Respekt gegenüber anderen zu üben; was eben auch manchmal heißt, die eigene Bequemlichkeit hintan zu stellen, nicht auf deinem Recht zu beharren, keinen Vorteil für Dich heraus zu schinden, nur weil es möglich ist. Eben deine Komfortzone zu verlassen. Auf jeden Fall: je mehr wir in der Realität sind und wirklich wahrnehmen, was jetzt gerade Sache ist, desto leichter wird es sein zu entscheiden, was der passende respektvolle Umgang wäre. Du kannst dann immer wählen, ob du diesen Umgang pflegen willst, oder nicht.

Dieser Blog ist sehr lang geworden – offensichtlich gibt es viel zu sagen über Respekt! Es folgen einige Beispiele wo respektvoller Umgang gut zu üben ist. Wenn es Dir zu lang ist, kannst du einfach nur die Überschriften lesen

  • Danke sagen und Dinge zur Kenntnis nehmen.
  • Die Zeit der anderen respektieren.
  • Kommunizieren was „ist“ sobald du es weißt – und Anerkennung zollen.
  • Aufmerksam sein und Wahrnehmen.
  • Zuhören und nicht Schubladisieren.
  • Zuvorkommend sein und Leuten entgegenkommen.
  • Sich entschuldigen und Fehler eingestehen.

Danke sagen und Dinge zur Kenntnis nehmen

Auf eine persönliche Anfrage möglichst zeitnah zu antworten, sollte nicht nur im Business-Kontext eine Selbstverständlichkeit sein. Wenn man noch keine Antwort parat hat, erfreut auch eine kurze Bestätigung, dass man die Frage erhalten hat.

Wenn jemand etwas für Dich erledigt, dich mit jemanden in Kontakt gebracht hat, der dir weiterhilft vergisst man selten auf das Dankeschön. Aber wie oft kommt es vor, dass jemand die Türe aufhält und man geht gedankenverloren durch ohne einen Mucks zu machen? Ich habe auch bemerkt, dass ich als Radfahrerin sehr viel weniger angepöbelt werde, seit ich mich auch bei AutofahrerInnen bedanke, weil sie mir meinen Vorrang nicht streitig machen – auch wenn das ja eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte.

Die Zeit der anderen respektieren.

Wir sind alle sehr beschäftigt und unsere Zeit ist begrenzt. Wenngleich es manchmal zu Verspätungen kommt, die außerhalb unserer Kontrolle liegen, können wir uns doch immer bemühen, pünktlich zur vereinbarten Zeit zu einem Treffen zu erscheinen. Bzw. überhaupt zu erscheinen – als wir noch nicht ständig benachrichtig-bar waren, wurden Zusagen noch mehr respektiert – eine Freundin hatte sich mal mit anderen Freundinnen ausgemacht, sich – als Rucksacktouristinnen aus verschiedenen Ländern kommend – an einem bestimmten Tag zu Mittag vor dem Hauptpostamt in Guatemala City zu treffen. Und sie trafen sich.

Die ÖsterreicherInnen sind nicht bekannt dafür, dass sie das Konzept des Anstellens ganz durchschaut haben. Aber wenn du aufmerksam bist, merkst du meistens, ob du vor oder nach jemanden an die Kassa oder eine Theke gekommen bist – zur Not kannst du ja nachfragen. Auch wenn plötzlich eine zweite Kassa geöffnet wird – es ist nicht nachvollziehbar, dass die Letzten plötzlich die Ersten sein sollten. Auch wenn es üblich ist und oft einfach geht – Vordrängen ist Vordrängen. Wenn du das nicht machen willst, mach es nicht.

Kommunizieren was „ist“ sobald du es weißt – und Anerkennung zollen

Sobald absehbar ist, dass entweder die eigene Planung oder der öffentliche Verkehr versagt hat, zeugt es von Respekt, dies der wartenden Person mitzuteilen. Du hast zugesagt, etwas zu erledigen, weißt aber schon Wochen vor der Deadline, dass sich das nie und nimmer ausgehen wird, oder jemand fragt dich, ob du mit ihm/ihr auf einen Kaffee gehen würdest und du weißt eigentlich schon, dass du keine Lust hast – gib gleich Bescheid – dann können sich alle Beteiligten darauf einstellen.

Jemand hat sich offensichtlich bemüht, etwas was ihm/ihr schwerfällt trotzdem gut zu machen – oder etwas, was dich nervt, nicht zu tun, mach klar, dass Du es bemerkt hast und zolle den Bemühungen der Person damit Anerkennung

Aufmerksam sein und wahrnehmen

Eine Freundin hat mir ihr altes iPhone geschenkt – und ich kann nun besser verstehen, wie vernarrt alle in ihre Handys sind – aber sind diese Geräte wirklich interessanter als Dein Gegenüber, mit dem Du Dich aus freien Stücken getroffen hast? Schalt es auf lautlos und probiere mal Digital Detox im Kleinen – schenke deinem Gegenüber deine volle Aufmerksamkeit. Auch wenn dir die Person nicht nahesteht – steck dein Handy kurz weg, wenn dich die Kassiererin im Supermarkt bedient. Und wenn du mit Aufmerksamkeit durch die Straßen gehst, bemerkst du vielleicht auch immer wieder, dass jemand dich total glücklich angrinst. Lächle zurück, respektiere dieses Bollwerk gegen die Mieselsucht!

Zuhören und nicht Schubladisieren

Oft legen wir uns schon während die andere Person noch spricht unsere Gegenargumente zurecht. Hören tun wir dann eigentlich nur, was wir uns erwarten zu hören. Oder wir glauben, schon genau zu wissen, aus welcher Ecke unsere GesprächspartnerIn kommt und stempeln sie umgehend ab. In letzter Zeit war in meinem Umfeld das Schachmatt zwischen Raucher- und Nicht-RaucherInnen wieder präsenter als sonst. Eine Nichtraucherin-Freundin klagte davon, dass sie vollkommen fertig aus einem stundenlangen Meeting ging, bei dem 14 intelligente, gebildete, reflektiere Menschen alle darauf bestanden zu rauchen und auch den Vorschlag regelmäßiger Pausen einstimmig ablehnten. Ich habe vor Jahren einen Kampf für ein rauchfreies Büro und Rauchpausen für Team-Meetings durchgefochten, auch mein Team bestand aus emanzipierten, gebildeten, intelligenten und politisch bewussten Menschen. Sehr schnell bekam ich den Stempel einer militanten Nicht-Raucherin aufgedrückt und oft war es schwierig, auf der sachlichen Ebene zu bleiben. Kürzlich hörte ich dann auch wieder das beliebte Argument, dass all diese Rauchverbote doch total genussfeindlich seien und ja wohl nicht alles reglementiert werden müsse und überhaupt, all diese Einschränkungen der persönlichen Freiheit…… Ich bin ganz sicher nicht genussfeindlich – ich bekomme ganz einfach Kopfschmerzen vom Rauch und fühle mich sogar am nächsten Tag noch schlecht. Und es geht hier nicht um Rauchen in geschlossenen Räumen per se – wenn die Lüftung großartig funktioniert und nicht alle Kettenrauchen ist die Luft nicht verraucht und alles ist bestens. Wenn ich im Freiluftkino von RaucherInnen eingenebelt werde, nützt mir die an sich „freie“ Luft nicht viel. Es geht also wieder einmal um die Realität, nicht um eine Regel.

Zuvorkommend sein und Leuten entgegenkommen

Du hast einen Sitzplatz und eine Schwangere, eine gebrechliche alte Frau, ein Vater mit seinem Kind auf dem Arm steigt ein – steh auf und biete deinen Sitzplatz an – sie brauchen ihn vermutlich nötiger als du – und um den Platz bitten tut heutzutage fast niemand mehr. In einer U-Bahn ins Wageninnere vorgehen, oder die Leute zuerst aussteigen lassen führt nicht nur zu einer friedlicheren, sondern auch einer schnelleren Fahrt. Ein Mann kommt voll bepackt auf die Türe zu, durch die du gerade gehst – halt sie ihm auf. Auch wenn er der Mann ist und du die Frau, und nach irgendwelchen archaischen Regeln er aufhalten sollte – in der Realität ist es eben jetzt gerade umgekehrt.

Sich entschuldigen und Fehler eingestehen

In New York war es üblich, dass manche Leute in der U-Bahn prophylaktisch „Excuse me“ sagten, um dir umgehend ihren Ellbogen in die Seite zu rammen oder dir auf die Zehen zu steigen. Ich bin eher dafür, dass man sich entschuldigt, nachdem man versehentlich jemanden anrempelt – oder wenn man einen Fehler gemacht hat. Es ist sehr viel einfacher, jemandem zu verzeihen, wenn er/sie ihren Fehler zugibt und man merkt, dass es der Person wirklich leid tut.

Wie du siehst, es gibt unzählige Möglichkeiten, Respekt, Aufmerksamkeit und Wertschätzung zu üben und zu verbreiten. Und je mehr wir es üben, desto mehr sind wir auch in der Realität und damit in der Lage, Dinge zu verändern. Und vielleicht wird unsere jeweilige Stadt dann auch friedlicher und freundlicher.

Wie geht es dir mit Respekt? Dir selbst und anderen gegenüber? Was hältst du davon, einmal eine Woche lang wirklich darauf zu achten, einen respektvollen Umgang mit dir und anderen zu pflegen? Ich freue mich über deine Erfahrungen damit zu lesen! Und wenn du Respekt für deinen Körper üben möchtest – komm am 27. Februar zum Saturdays@Noon Workshop!

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